Musik mit künstlerischem Anspruch
„Nalěćo“ (Der Frühling) – dieses klangvolle Wort bezeichnet nicht nur eine Jahreszeit. Es steht ebenso für das wohl schönste sorbische Oratorium, das Handrij Zejler und Korla Awgust Kocor geschaffen haben. Gern wird es von sorbischen Chören gesungen. So zum Beispiel im Jahre 2012 an vier ganz verschiedenen Orten – im Staatstheater Cottbus, in der St. Marienkirche in Kamenz, im Prager Waldsteingarten und in der Dresdener Frauenkirche.
Wie das Werk „Nalěćo“ werden auch andere sorbische Oratorien und Liederzyklen regelmäßig aufgeführt. Darüber hinaus widmet sich der Bund sorbischer Gesangvereine dem Schaffen sorbischer Komponisten, zum Beispiel Bjarnat Krawc, Korla Awgust Kocor oder Jan Bulank. Gegründet wurde der Verband bereits 1923. Damals schlossen sich etliche sorbische Gesangvereine zusammen, um das sorbische Liedgut zu pflegen, die sorbische Chorbewegung zu fördern und Freude beim gemeinsamen Singen in der Muttersprache zu finden. Und diesem Anliegen fühlt sich der Dachverband sorbischer Chöre bis heute verpflichtet.
Wie alle sorbischen Vereine wurde auch dieser 1937 durch die Nationalsozialisten verboten. Wieder gegründet wurde der Bund der sorbischen Gesangvereine am 25. Mai 1991. Er war damit eine der ersten sorbischen Vereinigungen, die nach der politischen Wende 1989/90 entstanden sind.
Der Bund sorbischer Gesangvereine gibt Noten und Texte für die Chöre heraus und beauftragt Komponisten, wenn Chöre etwa aus Anlass eines Jubiläums ein neues Werk aufführen wollen. In den vergangenen Jahren hat er zwei Kompositionswettbewerbe ausgeschrieben. Dabei sind neue und moderne Chorwerke entstanden, die sich im Repertoire einiger Chöre wiederfinden. Mit anspruchsvollen Programmen beteiligt sich der Bund sorbischer Gesangvereine an der Würdigung bedeutender sorbischer Persönlichkeiten. So wurde 2011 ein Festprogramm zum 150. Geburtstag von Bjarnat Krawc erarbeitet. An diesem Großprojekt nahmen alle Chöre des Bundes teil. Sie führten ein umfangreiches Programm in Bautzen und Cottbus auf. Regelmäßig gibt es auch ein gemeinsames Projekt der niedersorbischen Chöre.
Seit seiner Wiedergründung sieht der Bund sorbischer Gesangvereine seine Heimat in der Domowina, der politischen Interessenvertreterin aller Sorben. Schließlich verfolgt man mit der Pflege und dem Erhalt der sorbischen Sprache und Kultur das gleiche Ziel. Die Domowina unterstützt das Zusammenwirken der Chöre und Gesanggruppen mit anderen sorbischen Fachverbänden und Institutionen. Im Jahr 2012 war dies zum Beispiel bei der Erarbeitung des musikalisch-szenischen Programms für den Festakt zum 100. Gründungsjubiläum der Domowina der Fall. Außerdem fördert die Dachorganisation der Sorben den grenzüberschreitenden Kulturaustausch, an dem oft auch Mitglieder des Bundes sorbischer Gesangvereine beteiligt sind. Einige Chöre unterhalten seit Jahren feste Freundschaften nach Tschechien und Polen und treffen sich regelmäßig mit ihren Partnerchören.
Heute gehören dem Bund 17 Chöre, Gesang- und Folkloregruppen mit etwa 500 Mitgliedern sowie weitere Einzelpersonen an. Alle Mitglieder sind jedoch eigenständige Vereine, die selbstständig über ihre Konzerttätigkeit entscheiden. Der Bund als Dachverband der Chöre versteht sich als Ansprechpartner in rechtlichen und finanziellen Fragen. Er koordiniert Vorhaben der einzelnen Mitgliedschöre und organisiert gemeinsame Projekte. Wiederholte Chortreffen dienen dem freundschaftlichen Austausch. Viele Chöre, vor allem in der Niederlausitz, kämpfen allerdings mit Nachwuchsproblemen. So mussten in den vergangenen Jahren leider einige Gesanggruppen ihre Arbeit einstellen.
Der Bund sorbischer Gesangvereine ist bestrebt, gute Bedingungen für eine erfolgreiche Arbeit seiner einzelnen Chöre und Gesanggruppen zu schaffen. Er bemüht sich um die Ausbildung talentierter Sängerinnen und Sänger zu Chorleitern, um die langjährigen Traditionen fortsetzen zu können. Mit ihren Konzerten auf hohem Niveau bereichern die sorbischen Chöre und Gesanggruppen das kulturelle Leben in der zweisprachigen Lausitz. Einerseits wird damit das sorbische Publikum in seinem nationalen Bewusstsein gestärkt. Andererseits werden aber auch deutsche Zuhörer, die die sorbische Musik meist nur mit Folklore verbinden, an einen hohen künstlerischen Anspruch herangeführt. So wird die Mehrheit für Tradition und Reichtum der Kultur der Minderheit sensibilisiert.
Constanze Knappe
Auszug aus der Broschüre: Im Zeichen des Lindenblatts. Die Domowina – Bund Lausitzer Sorben e. V. auf dem Weg in die Zukunft. 2., überarbeitete Auflage, Bautzen 2013, S. 19 f.
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