Zur Geschichte der Niedersorbischen Sprachkommission
Erste Versuche, das Niedersorbische/Wendische zu kodifizieren und zu normieren, sind aus dem 17. Jahrhundert bekannt: Johannes Chojnanus schrieb 1650 eine Grammatik, die zwar nie gedruckt wurde, die aber mehrfach abgeschrieben und rezipiert wurde. Mehr als einhundert Jahre später, nämlich 1761, erschien die erste gedruckte niedersorbische/wendische Grammatik aus der Feder von J. G. Hauptmann. Im Jahre 1847 wurde dann in Budyšyn/Bautzen die Maćica Serbska gegründet, 1880 entstand in Chóśebuz/Cottbus ihre niedersorbische/wendische Abteilung, die Maśica Serbska. Diese sorgte für die Herausgabe verschiedener niedersorbischer/wendischer Drucke und machte so die Bevölkerung der Niederlausitz mit der Schriftsprache bekannt. Natürlich wahr man dabei um ein gutes, reines Niedersorbisch/Wendisch bemüht. Trotzdem waren puristische Tendenzen nicht allzu ausgeprägt.
Zu einem klaren Einschnitt in der Entwicklung der niedersorbischen/wendischen Schriftsprache kam es nach dem Zweiten Weltkrieg, in den 1950er Jahren. Damals wurde die bis dahin verwendete Frakturschrift durch lateinische Lettern ersetzt. Gleichzeitig wurde eine neue Rechtschreibung eingeführt, so dass sich das geschriebene Niedersorbische/Wendische visuell plötzlich massiv veränderte. Außerdem gab es auch in anderen Sprachebenen Eingriffe: Im Bereich der Lexik wurden traditionelle Lehnwörter aus dem Deutschen durch solche ersetzt, die aus dem Obersorbischen oder aus anderen slawischen Sprachen stammten. Auch im Bereich der Morphologie und Syntax kam es zu größeren Unterschieden zwischen der Schriftsprache und der ursprünglichen, dialektalen Form des Niedersorbischen/Wendischen. Insgesamt führte dies zu einer kritischen Distanz vieler Muttersprachler zur Schriftsprache und verstärkte somit die Tendenz, sich vom Niedersorbischen/Wendischen – egal in welcher Existenzform – abzuwenden.
Im Oktober 1952 wurde im damaligen Institut für sorbische Volksforschung in Bautzen, damals der Deutschen Akademie der Wissenschaften (ab 1972: Akademie der Wissenschaften der DDR) in Berlin zugeordnet, die erste »Obersorbische Sprachkommission« gegründet. Ein entsprechendes Gremium für das Niedersorbische/Wendische wurde damals nicht ins Leben gerufen. Dies änderte sich erst 1979. Damals wurde eine Sorbische Sprachkommission mit einer besonderen, niedersorbischen/wendischen Untergruppe gegründet, die ein geborener Niedersorbe, der Diplomslawist Manfred Starosta leitete. Er erweiterte die Gruppe um niedersorbische/wendische Muttersprachler, das waren beispielsweise Margita Heinrichowa, Hermann Jahn sowie der Pfarrer Herbert Nowak. Grundlage der Arbeit der Sprachkommission waren folgende, hierarchisch geordnete Prinzipien:
1. Kommunikativität (die Bedeutung eines Worts bzw. einer grammatischen Form sowie die Aussprache derselben muss bekannt und anerkannt sein; Neubildungen müssen verständlich sein)
2. Niedersorbisches/wendisches slawisches Wesen (Blick auf historisch entstandene niedersorbische Besonderheiten)
3. Innersorbische Einheitlichkeit (falls sie nicht mit den ersten beiden Prinzipien kollidiert; zur Anwendung gelangte dieses Prinzip in der Praxis vor allem im Bereich der Terminologie und in Teilbereichen der Orthographie (Groß- und Kleinschreibung, Zusammen- bzw. Außeinanderschreibung, Interpunktion u. a.).
Kurz nach der politischen Wende 1989/1990 wurde die Maćica Serbska mit ihrer niedersorbischen/wendischen Abteilung Maśica Serbska wieder ins Leben gerufen. Auf der Hauptversammlung des Vereins wurde 1994 beschlossen, dass zwei separate Sprachkommissionen für das Ober- und Niedersorbische/Wendische gegründet werden. Seither arbeitet die Niedersorbische/Wendische Sprachkommission selbstständig.