Zur Geschichte der Domowina
1912 wurde der Dachverband sorbischer Vereine gegründet, seit 1934 Bund Lausitzer Sorben. Er fungiert als Interessenvertreter des sorbischen Volkes. Das Wirken der Domowina prägt die politische Geschichte und die öffentliche Wahrnehmung der Sorben seit dem Ersten Weltkrieg. Der Sitz der Domowina (dt. »Heimat«) ist Bautzen/Budyšin, als Symbol verwendet sie seit den 50er-Jahren drei Lindenblätter, die aus einem Stamm mit acht Wurzeln erwachsen.
Bereits im Revolutionsjahr 1848/49 wurde der Vorschlag geäußert, die zahlreich entstehenden sorbischen Vereine organisatorisch zusammenzufassen. Für kurze Zeit bestanden damals die Vereinigten wendischen Vereine, bis in Sachsen im August 1849 die demokratischen Vaterlandsvereine verboten wurden. Ab 1871 entstanden wieder meist lokal wirkende sorbische Vereine: Bauernvereine mit wirtschaftlicher Ausrichtung, Chöre und Theatergruppen, Schüler- und Studentenvereine oder konfessionelle Ortsvereine. 1883 und 1898 schlugen Versuche fehl, einen Dachverband zu schaffen.
Dies zu verwirklichen gelang 1912 einer Gruppe um Arnošt Bart, Handrij Króna, Jurij Słodeńk, Bogumił Šwjela, Jan Dwórnik, Jurij Deleńk, Awgust Lapštich, Franc Kral und Michał Nawka. Am 13.10.1912 wurde die »Domowina – Bund wendischer Vereine« in Hoyerswerda durch die Vertreter von 31 sorbischen Einzelvereinen, darunter jedoch nur einem aus der Niederlausitz (Maśica Serbska), gegründet. Sie setzte sich das Ziel, die angeschlossenen Vereine zu fördern, »besonders in deren Bemühen um das geistige und wirtschaftliche Glück des wendischen Volkes«. Die Gründung endete mit der Verabschiedung der Statuten und der Wahl des Vorstands am 9.2.1913. Damit waren alle Vereine zum Beitritt aufgefordert. Zum ersten Vorsitzenden wurde der sächsische Landtagsabgeordnete Arnošt Bart gewählt. Bis zum Juni 1913 schrieben sich 15 Vereine mit mehr als 1.600 Mitgliedern ein. Die meisten der zur Gründungsversammlung vertretenen katholischen Vereine konnten sich zunächst nicht zum Beitritt entschließen.
Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 unterbrach für sechs Jahre jegliche Vereinstätigkeit. In der Nachkriegszeit dominierte der Wendische Nationalausschuss mit seinen weitreichenden politischen Forderungen (Autonomiebestrebungen) das öffentliche sorbische Leben. Nach dem Scheitern dieser Bewegung, an deren Spitze ebenfalls Bart stand, erneuerte sich die Domowina ab Ende 1920. 1924 vereinte sie 82, 1931 85 lokale Vereine und Vereinigungen. Um den im Statut genannten Aufgaben gerecht zu werden, organisierte sie Vorträge, Konzerte, Ferienaufenthalte für Kinder, gab Theaterstücke und Notenmaterial heraus, was besonders von den zahlreichen Chören und Laiengruppen genutzt wurde. Höhepunkte des sorbischen Lebens waren zentrale Domowina-Feste mit Kulturprogrammen und Umzügen, in der Niederlausitz veranstaltete die Maśica Serbska Trachtenfeste (Volkstreffen) und weihte Denkmäler für sorbische Patrioten ein, die aus eigenen Mitteln errichtet wurden.
Die Vertretung sorbischer Interessen gegenüber Reichs- und Länderregierungen übernahm der 1925 gebildete Wendische Volksrat, in dem auch die Domowina vertreten war. Auf deren Initiative war am Ende der Weimarer Republik in Petitionen eine Verbesserung der Unterrichtssituation sorbischer Kinder verlangt worden, was jedoch ohne größeren Erfolg blieb. Besonders enge Beziehungen gab es zum sorbischen Turnverband Sokoł. Repressionen nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 (zeitweiliges Verbot der Tageszeitung »Serbske Nowiny«, Verhaftungen, Selbstauflösung des Turnverbands und des Wendischen Volksrates) lähmten das sorbische Vereinsleben und hielten viele Mitglieder von weiteren Aktivitäten ab. Eine Loyalitätserklärung vom September 1933 zwischen Regierungsvertretern und ausgesuchten Repräsentanten der sorbischen Öffentlichkeit – darunter aber kein Vertreter der Domowina – trug zur Beruhigung bei. Unter dem Vorsitz von Pawoł Nedo, der Ende 1933 zum Vorsitzenden der Domowina gewählt wurde, kam es zu einer seit Längerem erörterten Strukturreform, die die Umstellung von Vereins- auf Einzelmitgliedschaft vorsah und die Organisation im Innern festigen sollte. Sie präsentierte sich nun als politische Sprecherin der Sorben. Den Ausbau der Tätigkeit z. B. durch Einbeziehung der preußischen Oberlausitz und der Niederlausitz sowie den Aufbau von Jugendgruppen beobachteten die Behörden mit Argwohn. Es wurden zunehmend Maßnahmen ergriffen, mit denen die sorbische Sprache verdrängt und die sorbische Identität unterdrückt werden sollte. Dies erschwerte es den Vereinen, ein vielseitiges Kulturleben aufrechtzuerhalten. Auch die Versuche, sich durch die NS-Volkstumsideologie zu legitimieren – »Ty sam ničo njejsy, naš serbski cyłk je naša móc!« (Du allein bist nichts, unsere sorbische Gemeinschaft ist unsere Kraft!) –, erwiesen sich als Irrweg. Eine staatlicherseits oktroyierte Satzung, in der die Domowina anfangs als »Bund wendisch-sprechender Deutscher«, später als »Bund zur Pflege der Heimat und des wendischen Brauchtums« definiert wurde, lehnten die Vertreter der Vereine mehrheitlich ab. Das führte am 18. März 1937 zum Verbot von Veranstaltungen und Versammlungen aller angeschlossenen Gliederungen, im August 1937 auch der meisten übrigen sorbischen Vereine. Der Domowina war damit die Grundlage ihrer Tätigkeit entzogen, 1941 folgten das – nur noch amtlich relevante – offizielle Verbot und die Konfiskation des Vermögens.
Unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs, am 10.5.1945, wurde die Domowina in Crostwitz/Chrósćicy unter dem vorläufigen Vorsitz von Dr. Jan Cyž erneuert und von der sowjetischen Kommandantur in Bautzen (vorerst regional begrenzt) anerkannt. Zeitgleich entstand in Prag der Sorbische Nationalrat, von dem u. a. politische Forderungen ausgingen, die abermals bis zu Autonomielösungen bzw. dem Anschluss an die ČSR reichten. Die Domowina-Führung unterstützte dies in einigen Memoranden. Die sowjetische Besatzungsmacht lehnte jedoch die Vorstellungen ab und akzeptierte nur eine kulturelle Eigenständigkeit. Damit geriet der Nationalrat politisch ins Abseits. Die Domowina, die sich den sowjetischen Vorgaben unterordnete, etablierte sich von da an als Interessenvertreterin der Sorben. Ihre führenden Köpfe begrüßten die ostdeutsche Nachkriegsordnung als soziale Befreiung des sorbischen Volkes, den Sozialismus betrachteten sie als Voraussetzung für nationale Gleichachtung. Bei den Kommunalwahlen 1946 ging die Domowina eine Listenverbindung mit der SED ein. Unter der Leitung von Nedo, der 1945 den Vorsitz wieder übernommen hatte, installierte der Verband einen von hauptamtlichen Funktionären geleiteten Apparat, der neben seiner regionalen Struktur über Ressorts (u. a. Kultur, Schule, Jugend/Bildung, Propaganda, Wirtschaft) verfügte. Das traditionelle Vereinsleben konnte in der Sowjetischen Besatzungszone und in der DDR nicht fortgeführt werden, dafür erhielt die Domowina von der sächsischen Staatsregierung 1949 den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts.
Die Wiederbelebung des sorbischen Kulturlebens und die Einführung eines differenzierten Sorbischunterrichts gestalteten sich zunächst schwierig. Einen spürbaren Aufschwung brachte das am 23.3.1948 in Sachsen verabschiedete Gesetz zur Wahrung der Rechte der sorbischen Bevölkerung. Es beinhaltete staatliche Förderung und Finanzierung, sodass neben der Domowina als Mitgliederorganisation mehrere sorbische Institutionen für die Bereiche Bildung, Kultur und Wissenschaft entstanden.
In der Niederlausitz stand der Großteil der Sorben den nationalen Bestrebungen zunächst gleichgültig bis ablehnend gegenüber. Das ethnische Bewusstsein war hier fast ausschließlich vom kirchlichen Leben geprägt, hatte aber rapide an Substanz verloren. Der Domowina gelang es in der Nachkriegszeit nur mit großer Mühe, in Brandenburg Fuß zu fassen. Obwohl 1946 in Werben unter Leitung von Měto Laški ein Domowina-Vorstand für die Niederlausitz gewählt worden war, bekam die Organisation erst 1949 die Erlaubnis, im Land zu wirken, eine entsprechende Verordnung wurde 1950 ratifiziert. Danach wurden auch hier die ersten Ortsgruppen gegründet. Es blieben jedoch Vorbehalte gegenüber einer als Bevormundung und Missachtung spezifischer Eigenheiten empfundenen Anleitung aus der Oberlausitz bestehen.
Nach 1950 war die Domowina, begünstigt durch die neue Organisationsstruktur, in einen Funktionärsapparat einerseits und die Ortsgruppen andererseits unterteilt. In den Leitungsgremien (Sekretariat, Bundesvorstand) gewannen SED-treue Mitglieder zunehmend die Oberhand, die die Domowina nach dem Vorbild der DDR-Massenorganisationen umgestalteten. Sie sahen es als ihre Aufgabe an, die Politik von Partei und Staat bei der sorbischen Bevölkerung durchzusetzen, so bei Werbekampagnen für die Kollektivierung der Landwirtschaft oder der Intensivierung des Braunkohlenbergbaus. Mitte der 1950er-Jahre spitzten sich die Richtungskämpfe vor dem Hintergrund gesellschaftlichen Wandels zu. Die mehrfach öffentlich geäußerte Sorge um den Fortbestand des sorbischen Volkes wurde 1955 auf dem III. Bundeskongress durch SED- und Domowina-Funktionäre als Nationalismus diffamiert. Unter der Losung einer »Vollendung des sozialistischen Aufbaus« wurden ab 1958 von maßgeblichen SED-Kreisen Erhalt und Pflege der sorbischen Sprache tendenziell abgewertet und als unvereinbar mit den Prinzipien des Marxismus bezeichnet. Nach internen Diskussionen schwenkten die Domowina-Funktionäre auf diese Linie ein, weshalb zahlreiche Mitglieder austraten. Evangelische und katholische sorbische Pfarrer, die bis dahin großen Anteil am Wirken der Organisation hatten, wandten sich nun offen gegen sie. Ungeachtet dessen behielten die Ortsgruppen ihre relative Eigenständigkeit, die auf dem Verantwortungsbewusstsein des Einzelnen für Herkunft und Sprache beruhte.
Als Reaktion auf den Mitglieder- und Bedeutungsschwund strebte der damalige 1. Bundessekretär Bjarnat Nowak an, die Domowina als reine Kulturorganisation auszurichten, was durch die SED verhindert wurde. In diesen Zusammenhang gehört auch die Einführung des Sorbischunterrichts auf freiwilliger Basis durch die sog. 7. Durchführungsbestimmung 1964, die zu einem beträchtlichen Rückgang der Schülerzahlen führte. Obwohl sich bei vielen Sorben sowie bei einigen Domowina-Funktionären Widerstand regte, konnte der Erlass nicht verhindert werden. Erst in den 70er-Jahren gelang es allmählich, die negativen Folgen auszugleichen.
Ab 1969 bezeichnete sich die Domowina offiziell als »sozialistische nationale Organisation der Sorben in der DDR«. Viele Veranstaltungen in den Ortsgruppen widerspiegelten das uniforme gesellschaftliche Leben im Land, denn sie waren zentral vorgegeben, Teil eines formellen Wettbewerbs oder rein ideologischer Natur. Als politische Höhepunkte fanden Domowina-Bundeskongresse statt (1951–1990 zwölf Kongresse, ab 1977 stets in Cottbus/Chóśebuz. Auf kultureller Ebene wurde die Tradition der sorbischen Volkstreffen aufgenommen, die ab 1966 als mehrtägige Festivals der sorbischen Kultur gefeiert wurden (Kreisfestivals und sieben zentrale Festivals).
Erst als die politisch-ideologischen Konflikte nicht mehr in aller Schärfe ausgetragen wurden, konnte durch verstärktes kulturelles Engagement die negative Mitgliederentwicklung aufgehalten und bis 1989 sogar umgekehrt werden. Ein wachsender Teil der Aktivitäten war nunmehr der Pflege von Sprache, Kultur und Tradition gewidmet. Ungeachtet der großzügigen rechtlichen Bestimmungen und der institutionellen Förderung fehlten jedoch wirksame Initiativen, um die fortschreitende Assimilation aufzuhalten. 1988 bot die Führung der Domowina sorbischen Vertretern der katholischen und evangelischen Kirche einen »nationalen Dialog« an, um zur Wahrung sorbischer Interessen wichtige Partner einzubinden.
Während der politischen Wende von 1989/90 blieb die Domowina zunächst ohne Konzept und personelle Veränderungen, es kam zu einer Welle von Austritten und zur Auflösung von Ortsgruppen. Die Bewegung zugunsten einer programmatischen Erneuerung wurde ab November 1989 von der Sorbischen Volksversammlung getragen. Angesichts ihrer bis 1912 zurückreichenden Tradition plädierte auch die damalige Opposition für den Fortbestand der Domowina als politisch und weltanschaulich unabhängiger, demokratischer Organisation, die die sorbischen Vereine zusammenhält.
Unter dieser Prämisse konstituierte sich die Domowina 1991 als eingetragener Verein mit neuer Satzung, der sich für die Erhaltung und Entfaltung, die Förderung und Verbreitung von Sprache, Kultur und Tradition des sorbischen Volkes einsetzt. Mitglied der Domowina können sowohl Personen als auch Vereine sein. In der Praxis wird der Dachverband von den staatlichen Instanzen als Interessenvertretung der Sorben anerkannt. Das höchste Gremium der Domowina ist die alle zwei Jahre einberufene Hauptversammlung; über die laufende Arbeit entscheidet der Bundesvorstand, der von einem Präsidium geleitet wird. Für die Verwirklichung der Beschlüsse und die Unterstützung der Vereine sind die Geschäftsführer in Bautzen und Cottbus verantwortlich. Die Domowina ist in Regionalverbände (sorb. župa) gegliedert, die über die gleichen Leitungsebenen (Hauptversammlung, Vorstand) wie der Bund verfügen. Die ersten Regionalverbände (Bautzen, Kamenz, Hoyerswerda und Niederlausitz) waren 1921 gebildet worden. In der DDR entsprachen sie den Kreiseinteilungen: Bautzen (zeitweilig existierte ein eigenständiger Verband der Stadt Bautzen), Kamenz, Weißwasser/Niesky, Hoyerswerda; in der Niederlausitz: Cottbus, Spremberg, Guben/Forst, Calau/Lübben; Oberschüler und Studenten bildeten den Hochschulverband »Jan Skala«. Heute bestehen fünf Regionalverbände: »Jan Arnošt Smoler« Bautzen, »Michał Hórnik« Kamenz (Sitz Crostwitz), »Handrij Zejler« Hoyerswerda, »Jakub Lorenc-Zalěski« (Sitz Schleife), Niederlausitz (Sitz Cottbus). Eine Anzahl spezifischer Vereine ist überregional tätig. Auf Beschluss der Hauptversammlung wurde 2001 das Witaj-Sprachzentrum als eine eigenständige Abteilung der Domowina angeschlossen. Seine Aufgabe ist es, die intensive Vermittlung der sorbischen Sprache in Kindergarten und Schule durch Projekte und Lehrmittel zu unterstützen.
Der Vorsitz der Domowina war bis 1951 und ist seit 1991 ehrenamtlich; von 1952 bis 1991 wurde er hauptamtlich ausgeübt, von 1973 bis 1990 durch den 1. Sekretär des Bundesvorstands. Vorsitzende: 1913 Arnošt Bart, 1927 Jakub Šewčik, 1930 Jan Křižan, 1933 Pawoł Nedo, 1951 Kurt Krjeńc, 1973 Jurij Grós, 1990 Bjarnat Cyž, 1991 Jan Pawoł Nagel, 1993 Jakub Brankačk, 2000 Jan Nuk, 2011 Dawid Statnik.
Dr. Annett Brězanec, Sorbisches Institut
Lit.: R. Thiemann: Hoyerswerda, 13. Oktober 1912, Gründung der Domowina, B. 1987; F. Rajš: Stawizny Domowiny we słowje a wobrazu, B. 1987; S. Musiat: Sorbische/Wendische Vereine 1716–1937, B. 2001; E. Pech: Die Sorbenpolitik der DDR 1949–1970. Anspruch und Wirklichkeit, B. 1999; L. Elle: Die Domowina in der DDR, B. 2010.
Quelle: Sorbisches Kulturlexikon,1. Auflage 2014, Domowina-Verlag Bautzen, S. 102 ff.